Ich habe mich, was das Virus betrifft, gründlich getäuscht. Gerne getäuscht. In den ersten Corona-Tagen habe ich die Sache als Hype abgetan. Gepusht und aufgeblasen von jenen, die von irgendetwas ablenken wollen. Vom Flüchtlingselend, vom Feuer am Umweltdach.
Ich habe mich geirrt, gerne geirrt. Vielleicht erschleicht man sich so einen unbeschwerten Tag? Mit Irrtümern die Realität auszublenden oder sie zumindest zu unterwandern. Das funktioniert natürlich nicht lange. Mittlerweile bin ich in der Realität angekommen, in einer Wirklichkeit, die sich unwirklich, ja, fast unglaubwürdig anfühlt. Mein Staunen ist größer als die Befürchtungen, mein Sinnsuchen kann ich mir auch nicht abgewöhnen.
Corona. Ein schönes Wort. Wenn man es wert- und emotionsfrei betrachtet. Ich glaube, es bedeutet Krone. Eine dornige Krone. Dornenkrone. Wie viele Menschen werden daran sterben? Heute? Morgen? In den nächsten Wochen? Werden die Vorkehrungen, die Schutzmaßnahmen reichen? Wird es genug sein, was wir tun?
Ich würde übrigens närrisch-gerne wieder mit dem Rauchen beginnen. In diesen Tagen denke ich an Tabak, an Filterlose, an ein verrauchtes Gehirn und die geteerte Lunge. Stattdessen ernähre ich mich supergesund, gehe täglich in die Sonne, werke im Garten. Etwas, das nicht jeder tun kann. Jetzt. In den Städten kleben die Menschen in ihren Wohnungen fest, viele sind vollkommen isoliert. Wie leben in diesem Käfig? Wie ein Zootier? Wie ein Kriegsflüchtling an der EU-Außengrenze, der sich nicht frei bewegen darf?
Corona wirkt für mich wie eine Lupe. Sie vergrößert das Wirklich-Wichtige, rückt das in den Mittelpunkt, was zählt, was unser Leben reich macht. Reich macht uns nicht der Konsum, nicht das Ausgeben und Einnehmen. Reich sind wir da, wo wir im Miteinander sind. Es berührt mich zu sehen, wie die Jungen nun auf die Alten und Älteren schauen, wie Einkäufe vor Türen – in achtsamen Abstand – abgegeben werden, wie nachgefragt, vorgesorgt und berücksichtigt wird. Danke. Wie wir unseren Dank an jene übermitteln können, die nun das System tragen und aufrechterhalten? Ich weiß es noch nicht und denke mit großer Hochachtung an die Krankenhausmitarbeiter, an die fleißigen Bienen (und Drohnen) in den Supermärkten, an die Briefträger, Lieferanten, Zustellbediensteten. Und so nebenbei bin ich froh darüber, dass wir in Österreich nun ein tragfähiges, vernünftiges Regierungsteam haben. Nicht auszudenken, was wäre, wenn die Populisten sich noch an der Macht vergreifen würden. Wir haben Glück. Diesbezüglich.
Ein Schmetterling. Fliegt. Gerade an mir vorbei. Landet direkt im hellvioletten Krokuskelch. Nektarschnüffler. Frühlingsbote. Federleichtgewicht. Ich sitze (mit meinem Laptop auf den Knien) im feingepolsterten Gartenstuhl, höre Gebirgsbachrauschen und den Gesang einer Meise. Ansonsten? Stille. Um mich. Im Garten. Im Viertel. Im ganzen Tal. Es fahren kaum Autos. Und heute, am helllichten Morgen, fiel es mir erneut auf, dass kaum Flugzeuge fliegen. Eines zog seine Bahn durchs Himmelsblau, ansonsten: freier Himmel. Die Natur atmet auf, tief durch, sie atmet uns aus.
Wird uns diese Corona-Zeit verändern? Werden wir andere Menschen sein, wenn diese Tage, Wochen oder gar Monate vorüber sind? Wird die Wirtschaft brachliegen oder wird sie sich neu erfinden? Wird diese besondere Form der Not uns läutern und erfinderisch machen? Werden wir umsichtiger, gereift und gestärkt aus diesem Desaster hervorgehen? Wir werden. Wir werden stark und wir sind stark. Und eine der gerade in uns wachsenden Stärken ist die Vernunft, die Rücksicht und die Begabung, im Notfall das Wesentliche zu sehen, zu schätzen und zu schützen. Bleibt gesund. Schaut aufeinander.
Eure Susanne Rasser